Heute sagt GRÜNENTHAL: „Die Contergan-Tragödie ist und bleibt Teil der Firmengeschichte von GRÜNENTHAL.“

Der von GRÜNENTHAL stereotyp und reflexartig benutzte Begriff „Tragödie“ drückt das strategische Programm für den Umgang des Unternehmens mit dem Thema Contergan aus. Der Contergan-Skandal ist für GRÜNENTHAL nicht das Resultat eigenen schuldhaften Handelns und Unterlassens, sondern das Ergebnis eines unverschuldeten und unaufhaltbaren Schicksals.

Dabei fehlt bis heute eine Auseinandersetzung mit den Gründen des Einstellungsbeschlusses des Landgerichts Aachen, das ausdrücklich das schuldhafte Verhalten der Unternehmensverantwortlichen festgestellt hatte. Auch Dr. Widukind Lenz kam zu diesem Ergebnis und führte aus, man könne „nicht auf eine rationale Analyse der Ursachen des Unglücks verzichten, nicht beide Augen zudrücken und sagen, es sei eben eine „schicksalhafte“ Katastrophe gewesen. Dieses Schicksal wurde von Menschen gemacht.“
Gemeint sind damit die verantwortlichen Mitarbeiter von GRÜNENTHAL, die offensichtlich auf Kosten der Geschädigten den Profit über ihr Wissen und ihre Verantwortung als Arzneimittelhersteller gestellt hatten.

Nach der Aussendung des ARD-Zweiteilers „Contergan – eine einzige Tablette“, die GRÜNENTHAL gerichtlich verbieten lassen wollte, hatte das Unternehmen gut sichtbar einen Link auf der Startseite seiner Homepage platziert mit dem Hinweis: „Mehr zu Contergan und dem Spielfilm Contergan“. Damit zeigte das Unternehmen demonstrativ Offenheit gegenüber dem Thema. Nachdem die Aufregung abgeklungen war, wurde der Themenkomplex tief in der Verzeichnisstruktur der Homepage versteckt. Für den Besucher der Internetseite fand sich keinerlei Hinweis mehr auf diesen „Teil der Firmengeschichte“. Jetzt, im Umfeld des zu erwartenden Medien-Interesses rund um 50 Jahre Marktrücknahme Contergan, befindet sich der Link wieder auf der Startseite der Homepage. Diese Vorgänge zeigen deutlich, was GRÜNENTHAL mit dem Begriff „Geschichte“ meint. Das Thema Contergan ist demnach für die GRÜNENTHAL etwas längst Vergangenes, das verborgen bleiben soll und an das nur erinnert wird, wenn es dem Unternehmen in seine Kommunikationsstrategie passt.

GRÜNENTHAL sagt: „GRÜNENTHAL sucht im Rahmen eines konstruktiven und vertrauensvollen Dialogs mit dem Bundesverband Contergangeschädigter e.V. sowie mit der Bundesregierung nach einer gemeinsamen Lösung, um die Lebenssituation der Contergan-Betroffenen zu verbessern.“ Und weiter: „Für GRÜNENTHAL ist es von moralischer Bedeutung sich gemeinnützig zu engagieren, um die Lebenssituation der Contergan-Betroffenen nachhaltig zu verbessern. Wir haben den Anspruch, mit den Contergan-Betroffenen gemeinsam Projekte zu definieren, die eine bedarfsorientierte und konkrete Hilfe darstellen.“

Das Unternehmen generiert jedes Jahr knapp 1 Mrd. Euro Umsatz, mittelfristig soll ein Ziel von 1,5 Mrd. jährlich erreicht werden. Die Eigentümer-Familie WIRTZ gehört mit einem Privatvermögen von 2,5 Mrd. Euro zu den 50 reichsten Familien in Deutschland, ausgeschrieben: 2.500.000.000,00 Euro. Die Geschädigten haben bisher nicht den Eindruck gewonnen, dass diese enormen Summen den Gesprächspartner GRÜNENTHAL inklusive den Eigentümern WIRTZ in ihrem Elan zur Entwicklung einer dauerhaften Lösung für die Betroffenen beflügelt hätten.

Entgegen dieser vollmundigen Ankündigung findet ein Dialog auf Augenhöhe derzeit nicht statt. Der „Brückenbauer“ Sebastian Wirtz, der die Gespräche begonnen hatte, wurde durch den neuen Geschäftsführer Dr. Harald F. Stock ausgetauscht. Nach anfänglich hoffnungsvollen Gesprächen machte dieser sehr schnell deutlich, dass es der neuen Unternehmensführung ausschließlich daran gelegen ist, das Thema Contergan medienwirksam zu verwalten, nicht aber den contergangeschädigten Menschen zu helfen.

Statt dem von Herrn Wirtz initiierten ersten Schritt in die richtige Richtung wie angekündigt weitere folgen zu lassen, folgte eine Zeit der Stille. Auch nachdem der Bundesverband Contergangeschädigter e. V. weitere konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lebenssituation contergangeschädigter Menschen an GRÜNENTHAL herantrug, geschah zunächst nichts.
Eine Auseinandersetzung mit dem Forderungskatalog des Bundesverbandes Contergangeschädigter e. V., aus dem sämtliche Vorschläge zur Verbesserung der Situation abzulesen sind, lehnte GRÜNENTHAL ab.

Immerhin gab GRÜNENTHAL schließlich dem Drängen nach einem weiteren Gespräch dann doch nach und ließ wissen, es werde keine weiteren Zahlungen geben. Mit der Aussage „die Lebenssituation der Contergan-Betroffenen nachhaltig zu verbessern“ sei gemeint, im Einzelfall akute Härten auf Antrag einzelner Betroffener zu überprüfen und dann gegebenenfalls Hilfen in Aussicht zu stellen.

Seit Juli 2011 können sich Betroffene, die sich in akuter Not befinden und besonders schwerwiegend durch Contergan geschädigt sind, als so genannte Härtefälle an GRÜNENTHAL wenden. Dabei definiert das Schädigerunternehmen freihändig und nach Gutdünken, was seiner Ansicht nach akute Not und eine besonders schwerwiegende Conterganschädigung ist.

Einen Kriterienkatalog, der zum besseren Verständnis dienen könnte, gibt es offensichtlich nicht. Er wird dem Bundesverband Contergangeschädigter e. V. seitens GRÜNENTHAL – trotz mehrfacher Bitten – jedenfalls nicht zur Verfügung gestellt.

Unter dem Engagement für eine „nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände“ der Conterganopfer versteht GRÜNENTHAL also die undurchsichtige Vergabe von Almosen, die dem Geschädigten je nach Laune des Schädigers entweder gewährt werden oder nicht.

Es zeigt sich erneut, dass GRÜNENTHAL und die Eigentümerfamilie WIRTZ nicht bereit sind, sich der moralischen Verantwortung zu stellen und die daraus erwachsenen Forderungen endlich zu erfüllen.
Der Bundesverband Contergangeschädigter e.V. wird daher weiterhin vehement daran zu erinnern haben, was die Geschädigten von ihrem Schädiger erwarten.